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FRANKFURT.- Mit wehenden Umhang erklimmt „Kalanu“ die
Bühne. Der „beste Hellseher der Welt“ - so
verkündeten es die Plakate in der Buchabteilung im Kaufhaus
Hertie/Zeil – greift weltmännisch gelassen zum Mikrophone
und haucht im besten französischen Akzent: “Entschuldigen
Sie meine Verspätung, wegen Flug“. Solche klangvollen
Sätze des wohlbekannten Stars lassen noch ungenannte Fähigkeiten
in ihm vermuten, hatte doch der Werbeleiter des Kaufhauses, Gustav
Naumann, noch vor Minutenfrist,“im Hotel angerufen, um zu sehen
wo er bleibt“. Konnte Kalanu die Wegstrecke mit kräftigen
Flügelschlägen überwinden und den Frankfurter Verkehr
unter sich lassen? Als echter Hellseher hat man eben keine Probleme
mit der Gravitation, höchstens mit der Pünktlichkeit.
Kaum steht „Kalanu“ mit beiden Füßen fest
auf der Holzbühne, da fuchtelt er fruchterregend mit den Händen
durch die Luft. Einige Samstagseinkäufer bleiben neugierig
stehen, und schon berichtet Pierre Fey (44), so heißt Kalanu,
wenn er nicht hellsieht über seine großen Erfolge: „Ich
hatte eine Vision, ich sah sekundenlang das Gesicht von Alfred
Hitchcock vor meinem geistigen Auge, ich sah einen Ausschnitt aus dem
Film „Die Vögel“. Messerscharf gelang es dem Maestro
mit dieser Vision den Tod von Grace Kelly vorauszusagen. Jener
Schauspielerin, die Fürstin von Monaco wurde und niemals im Film
„Die Vögel“ mitwirkte.
Doch selbst Kalanu gelingen derartige parapsychologische
Bravourstücke nicht von alleine: „Ich brauche für
meine Arbeit eine große Suite, möglichst hoch in einem
Haus, ich brauche die richtige Atmosphäre, die richtige
Temperatur“, erläutert Pierre Fey. So einfach von der
Bühne in der Buchhandlung aus gehe es nicht mit den
Prophezeiungen.
„Die besten hellseherischen Fähigkeiten“, so
plaudert Kalanu dann aus dem Nähkästchen, „haben
Frauen und Elefanten.“ Die Augen einiger Zuschauerinnen
beginnen zu glänzen. Kalanu kommt so richtig in Fahrt. Er
erzählt von seinen paranormalen Abenteuern im Fernen Osten, in
den USA oder auch mal hier in Europa. „Ich sehe einen großen
Krieg voraus, zwischen England und Irland. Und zwar in den nächsten
zehn Jahren. Die halbe Insel wird hinweggefegt“, orakelt der
zuweilen schwerelose Hellseher gewichtig.
Dann fragt ihn ein Passant neugierig nach seinem
Gabel-verbiegenden Kollegen Uri Geller. Kalanu wird plötzlich
still, sein Blick wandert für einen kurzen Moment über das
andächtig lauschende Publikum und schweift dann in die Weite des
Raumes: „Mit Hellsehern“, so meint er nachdenklich,“
ist es wie in jedem anderem Beruf: Es gibt schwarze Schafe und
Scharlatane.“
MARCUS KAUFHOLD 1985
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