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Bergführer Lothar Dornbrack kniet neben einem V2 Raketenmotor. Im thüringischen Bergwerk Kohnstein wurden während des 2. Weltkrieges die ersten Großraketen in Serie gebaut. Die V1 und die V2 galten als die Wunderwaffen Hitlers - allerdings blieb ihr militärischer Effekt gering. Etwa 20000 Zwangsarbeiter wurden im Konzentrationslager Kohnstein ermordet. Die Herstellung der Raketen forderte mehr Opfer, als die V-Waffen an der Front.

© Marcus Kaufhold für FAZ Sonntagszeitung 




Erhängte Gefangene über der Produktionsstrasse.



Endmontage der V2: gezeichnet von einem Häftling.
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ie letzte Wunderwaffe liegt wie ein gestrandeter Wal im Geröll. Ihr völlig verrosteter Stahlleib ist aufgeplatzt: Treibstofftanks, Aggregate, Leitungen liegen frei - die „V1“. Mit ihr und mit der „V2“ wollte Hitler den Krieg gewinnen, London in Schutt und Asche legen.

Tief im Berg ist es totenstill. Hier, im unterirdischen KZ „Dora“ im Harz, nördlich von Nordhausen, befand sich von 1943 bis 1945 eine streng geheime V-Waffen-Schmiede, bombensicher untergebracht in einem alten Bergwerk. Häftlinge mußten dafür mehr als 40 neue Stollen in den „Kohnstein“ schlagen.

„Wir haben nicht mehr viel Zeit“, sagt Bergführer Lothar Dornbrack und stampft über das Geröll zurück durch einen unterirdischen Felsendom zu einem Schlauchboot. Der Schein seiner Grubenlampe tanzt wild über die verrußten Felswände. In einer Ecke liegen die Hülsen für V1-Sprengköpfe, zwei Holzwagen stehen herum, dazwischen Raketen-Kleinteile.

ümmern Sie sich nicht um menschliche Opfer“, lautete seinerzeit die Anweisung von SS-Mann Hans Kammler an seine „Baubrigaden“. Schon die ersten Häftlinge sahen monatelang kein Tageslicht mehr. Viele starben an Entkräftung, Tuberkulose oder Lungenentzündung. Der Staub von Sprengungen hing in der Luft, legte sich auf die Augen, kroch in die Nase, verklebte die Atemwege.

Ein amerikanisches Gericht stellte 1947 beim „Dora-Kriegsverbrecherprozeß“ fest: Viele Häftlinge urinierten aus Verzweiflung in die Hände, wuschen sich damit wenigstens das Gesicht. Zwar führte eine Wasserleitung durch das Konzentrationslager. Doch wer es wagte, sich mit Leckwasser zu waschen, wurde von der SS geschlagen.

ach nur vier Monaten startete die erste V1-Rakete in Richtung London. Der Führer ließ weitere Häftlinge in Nordhausen zusammenziehen: Polen, Russen, französische Zivilisten und die Juden des eigenen Volkes. Insgesamt überlebten 20 000 Menschen das Lager nicht. Schon wer eine Schraube oder ein Werkzeug fallenließ, konnte als Saboteur gelten. Viele wurden an den Kränen und Flaschenzügen über der Produktionsstraße aufgehängt, andere wurden bei Lagerveranstaltungen zu den Klängen einer Musikkapelle getötet. Die beiden Öfen des Lager-Krematoriums brannten fast ohne Unterbrechung. Und trotzdem: Im Frühjahr 1945 wurden viele Leichen des Nachts auf Scheiterhaufen verbrannt. Die Häftlinge starben buchstäblich in Minutenabständen. Erst 1945 räumten amerikanische Truppen das KZ „Dora“. Wissenschaftler wie Wernher von Braun, der „Vater der Mondrakete“, wurden in die Vereinigten Staaten gebracht.

Später tauschten Amerikaner und Russen Westberlin gegen Thüringen ein. Die Sowjets bemächtigten sich schnell der Reste und begannen mit ihrem eigennem Raketenprogramm. Schließlich versuchten sie, die Stollen zu sprengen, doch alle Versuche waren vergeblich. Die Stollen hielten der mächtigen Explosion stand.

och heute droht dem Geschichtsdenkmal eine andere Gefahr: Der Tagebau der Harzer Anhydritwerke gräbt sich Tag für Tag näher an die alten Stollen heran. Immer wieder lösen sich in den Kammern Felsbrocken, begraben Stück für Stück dunkelster Geschichte unter sich. Trotz heftiger Proteste von verschiedenen Seiten geht die Anhydrit-Produktion weiter – Arbeitsplätze seien in Gefahr, heitß es zur Begründung.

Bergführer Lothar Dornbrack bindet das Schlauchboot los und setzt über einen unterirdischen See. Die Decke des riesigen Gewölbes ist mit den Grubenlampen kaum auszumachen. Es folgt ein stundenlanger Fußmarsch zurück ans Tageslicht. Irgendwo in dem riesigen Areal werden noch Gräber vermutet. Nach einem Gerücht sollen SS-Schergen Häftlinge lebendig eingemauert haben.



Marcus Kaufhold 1992







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