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© Marcus Kaufhold für FAZ Sonntagszeitung 24.12.1995 

Ein Stück über Frieden, Weihnachten, Mordanschläge und warum das Sarajevo Life-Magazin nicht erscheinen durfte.




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...ein Haus explodiert, Bruce Willis schreit und rennt. Doch sein Schrei bleibt stumm: Der Fernseher im kleinen Hotel "Meridian" läuft ohne Ton. Niemand interessiert sich für das Nachmittagsprogram, von TV BiH; niemand für den amerikanischen Schauspieler. Im Meridian, hinter den Sandsäcken am Eingang spielt leise Musik. Draußen fällt ab und zu ein Schuß in der Stadt. Ein Heckenschütze unternimmt einen Mordversuch in der Dämmerung. Es ist Weihnachtszeit in Sarajevo und schon beinahe Frieden. 

Heckenschützen sieht man nicht. Man hört nur einen dumpfen Knall, irgendwo im Nebel. Mal klingt es wie die Fehlzündung eines Autos, mal wie Lärm von der Baustelle. Während des Krieges sind etwa 11000 Menschen getötet worden, davon 1500 Kinder. 
 
"Im Augenblick passiert kaum etwas, früher, während der Gefechte, gab es jeden Tag fünf oder sechs Tote", sagt Miro Tadic: "50 oder 60 Einwohner Sarajevos wurden täglich verletzt." Der 35 Jahre alte Mann arbeitet als "Stringer" für einen amerikanischen Radiosender. Er organisiert Termine mit Interviewpartnern, arbeitet als Chauffer. Seit zwei Tagen wartet er im Meridian vergeblich auf einen Reporter aus Washington. Miro Tadic sitzt an einem der fünf Eßtische des Hotels, raucht Zigaretten und plaudert. Lobby und Restaurant sind zusammen nicht größer als eine Theaterbühne. 

"Vor dem Waisenhaus der Stadt wurde zu Weihnachten ein Kind abgelegt," erzählt ein Zeitungskollege aus Dänemark. "Durch lebensgefährliche Konstruktionen an den Gasleitungen werden mehr Menschen verletzt als durch Waffengewalt," weiß ein Radiomann aus Brüssel. Und von einem japanischen Kameramann hat man die Geschichte gehört, daß zwei waschechte japanische Touristen die Stadt während der Kämpfe besucht hätten.

Suada Kapic ist müde, ihr Gesicht kaum geschminkt. Ihre Kleidung wirkt blaßgrau im fahlen Raumlicht. Suada Kapic ist auch Journalistin, sie kommt aus Sarajevo. Ihr Büro ist nur ein paar Straßenecken vom "Meridian" entfernt. Von ihren ausländischen Kollegen unterscheidet sie ein kleines Stück Plastik - 6,5 mal 9,5 Zentimeter groß, mit Paßbild, Stempel, Aufdruck: "United Nations Peace Forces". Ohne diesen Presseausweis kann man nicht so einfach mit dem nächsten Hilfsflug aus der Stadt fliehen. 

Ein Jahr hat Suada Kapic an dem "Sarajevo-LIFE-Magazin" gearbeitet. Sie interviewte Menschen in ihrer Stadt - etwa so: Frage an Dzevad Sabanagic, Musiker: "Wie würden Sie gerne sterben?" Anwort: "beim Spielen". Feststellung: Dzevad Sabanagic hat die Stadt seit drei Jahren nicht verlassen. 

Frage an Enima Muftic, Schauspielerin: "Ihre Botschaft an die Welt?" Anwort: "Herkommen! Sehen! Wegrennen!" Feststellung: Enima Muftic hat die Stadt niemals verlassen. Frage an Zdravko Grebo, Jura-Professor und Schriftsteller: "Was ist ihr größtes Ziel?" Anwort: "Ein Gasbrenner." Frage: "Wie haben Sie überlebt?" Anwort: "Ich habe nicht überlebt"

Das Sarajevo LIFE-Magazin wurde mühsam gedruckt, aber  jetzt vergammelt die Auflage. Der Verlag des amerikanischen "LIFE" Magazins hat den Vertrieb untersagt, mit einer Klage gedroht. Nun gibt es aus juristischen Gründen "no LIFE" in Sarajevo. 

Im Meridian ist Hotelhund "Gigi" auf die Sandsäcke hinter dem Eingang geklettert. Der Dalmatiner schnuppert an der Fensterscheibe. Trotz des Abkommens von Dayton vor wenigen Tagen lauern immer noch Heckenschützen in der Stadt. Noch immer gibt es in den Bergen rund um Sarajevo Granatwerfer. 

Im Radio läuft leise das Lied "Hotel California". Die Stimme singt: "You can check out any time you like, but you can never leave."

MARCUS KAUFHOLD




+++ "You can check out any time you like, but you can never leave." +++ 
Hotel California





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